Almere – Ungewohnt Wohnen

Wettbewerb um den Bau experimenteller Wohnhäuser unter dem Motto „De Eenvoud“ (Einfachheit) – Preis, verbunden mit dem Recht auf Realisierung, Entwicklung des Quartiers durch die Preisgewinner in Kooperation mit der Gemeinde Almere, Realisierung des Wohnhauses „Clearing“ (Lichtung)

De Eenvoud

Mit dem Wettbewerb „Ungewohnt Wohnen“ im Jahre 1982 wurde die Idee, fernab des standardisierten Wohnungsbaus ein eigenes Haus zu bauen, den ureigenen persönlichen Wünschen entsprechend, in den Gründungsprozess der jungen Stadt Almere implementiert. Die Realisierung der Wohnträume auf kostenfrei zur Verfügung gestellten Grundstücken resultierte in dem neuen Quartier „De Fantasie“. Das Quartier existiert, obwohl ursprünglich nur temporär gedacht, noch heute und ist noch immer eine (architektur-) touristische Attraktion. Projekte mit vergleichbarem Charakter wurden in den Jahren 1986 („De Realiteit“) und 1989 („De Fantasie II“) durchgeführt.

Projektgruppe vor Ort (Foto: Nils Nolting), Quartier „De Eenvoud“ (Grafik: Johan Selbing)

Nach einem neuen – vierten – Wettbewerb wird nun das Quartier „De Eenvoud“ (dt. „Die Einfachheit“) realisiert. Da sich die Zeiten in Almere mittlerweile geändert haben – die heute siebtgrößte Stadt der Niederlande hat sich in einen begehrten Wohnort im Großraum Amsterdam entwickelt – kann eine neue Siedlung nicht ernsthaft temporär geplant werden. Die Grundstücke konnten nicht gratis vergeben werden, wurden aber den Gewinnern des Wettbewerbs mit einem Preis unterhalb des Marktwertes angeboten. Prämiert wurden aus über 300 Einreichungen 12 Entwürfe mit einem möglichst experimentellen Charakter. Gefragt waren ungewohnte Grundrisse, die Verwendung ungewohnter Materialien sowie einfache kostengünstige Konstruktionen.

Ausstellung im Architekturzentrum CasLa Almere – Workshop Gruppe „De Eenvoud“ mit Vertretern der Stadt Almere

Clearing

Die Idee von „clearing“ ist die Übersetzung der vorgefundenen landschaftlichen Situation in eine bauliche Gestalt. Das Haus ist Teil einer Lichtung im Grünen. Es besetzt den Raum zwischen dem Wald ringsherum und einem offenen Raum in seiner Mitte.

Die Fassaden des Hauses bestehen, sowohl nach außen als auch zum Innenhof, durchgehend aus lichtdurchlässigem Material. Große Fensteröffnungen bieten Ausblicke in die Umgebung. Das unmittelbare Erfahren der Tages- und Jahreszeiten und der Atmosphären, die das wechselnde Wetter mit sich bringt, erlauben den Bewohnern, in direktem Kontakt zur Natur zu leben.

In Übereinstimmung mit der Thematik „De Eenvoud“ besteht das Haus aus nur wenigen Elementen: Eine durchlaufende Bodenplatte mit dem gleichen Bodenbelag, alle Bauelemente des Rohbaus bleiben ohne zusätzliche Verkleidungen, eine umlaufend einheitliche Fassade ohne Ecken und Richtungswechsel, eine einzige hölzerne Fläche als Dach und nur wenige konstruktive Details.

Die wärmegedämmte Bodenplatte aus Stahlbeton liegt auf einer Höhe von 4 Metern unter dem Meeresspiegel und ist über 10 Pfähle auf den tragenden Schichten des ehemaligen Meeresbodens gegründet. Der Fussboden besteht aus einem beheizten Estrich, die Oberfläche wurde versiegelt.

Schlanke Stahlstützen (Durchmesser 76 mm) und Wandscheiben (Dicke 80 mm) aus kreuzweise verleimten Brettschichtholzelementen tragen das Dach. Die Wände sind so positioniert, dass sie die Aussteifung des Gebäudes übernehmen. Das Dach besteht ebenfalls aus massivem Brettschichtholz. Nach Vorgabe des errechneten Gebäudemodells wurden acht Elemente im Werk ausgefräst und auf der Baustelle zu einer einzigen Dachplatte zusammengefügt. Die Oberflächen der Holzbauelemente sind zugleich die sichtbaren Oberflächen der Wände und der Decke. Zusätzliche Ausbaumaßnahmen, wie etwa die Verkleidung von Konstruktionen, sind nicht notwendig. Sämtliche Elektro- und Datenleitungen sind in die Holzbauteile unsichtbar integriert.

Die Fassade aus Polycarbonat-Elementen ist über Nut- und Feder Verbindungen ohne teilende Pfosten zusammengefügt. Da mit dieser Fügung auf die Anordnung von vertikal trennenden Pfosten verzichtet werden kann, entstand eine homogene Fassadenoberfläche.

Die Fassadenkonstruktion ist zweischalig aufgebaut. Zwischen den beiden Schalen befindet sich eine Luftschicht von 150 mm. Innerhalb dieses Zwischenraumes sind Ankerprofile für beide Fassadenschalen angeordnet. Sie stellen die Stabilität der Fassade bei Beanspruchung durch Wind her.

Die transluzente Fassade sorgt nicht nur für eine angenehme Belichtung der Räume mit Tageslicht sondern auch für eine sehr gute Energiebilanz des Gebäudes. Diese resultiert aus dem optimalen Eintrag von Sonnenlicht und der wärmedämmenden Qualität der Fassadenpaneele, die letztlich aus einer Vielzahl von Luftkammern bestehen. Die Vorfertigung der Bauteile im Werk, die Verwendung weniger Materialien und deren einfache Fügung ermöglichten eine kurze Bauzeit. In nur dreieihalb Monaten konnte das Haus fertiggestellt werden.

Grundriss

Schnitte
Ansichten

Projektbeteiligte

  • Frank Görge Architekt, Hamburg – Entwurf, Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe
  • Carola Görge Tragwerksplanung, Hamburg
  • Oebele Hoekstra, Almere
  • Ingenicon Douwe de Jong, Almere
  • Bolton Bouw B.V., Zegveld / Woerden
  • Rodeca Systems B.V., Alphen a/d Rijn
Baustelle „Clearing“: Pfahlgründung – Bodenplatte – Holzbau vor Montage der Fassade

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